Im Juni 2016 wurden in Rumänien Bürgermeister und Stadträte neu gewählt. Das Wahlergebnis in Timișoara/Temesvar sorgte für Schlagzeilen: der umstrittene Bürgermeister Nicolae Robu wurde wiedergewählt – bei einer Wahlbeteiligung von nur 28 Prozent! Wie kommt es, dass 72 Prozent der Bürger die Kommunalwahl egal waren? Ausgerechnet in der Stadt, in der im Dezember 1989 die „Revolution“ begann, die zur Absetzung von Ceaușescu führte und Rumänien die Demokratie und EU-Mitgliedschaft brachte.
Wie wird die Wahlbeteiligung in Timișoara bei den Parlamentswahlen am 11. Dezember sein? Wird sich die Unzufriedenheit auf kommunaler Ebene und eine allgemeine Politikverdrossenheit wieder in einer extrem niedrigen Wahlbeteiligung niederschlagen?
„Man hat genug Gründe, in Temesvar zufrieden zu leben: die Stadt wurde vor kurzem zur Europäischen Kulturhauptstadt 2021 ernannt, der Kreis Temesch hat eine Arbeitslosigkeit von knapp über 1%. Eine Art Paradies, wenn man es mit anderen Regionen in Rumänien oder sogar Europa vergleicht. Eine so niedrige Wahlbeteiligung (wie im Juni) ist ein klarer Schlag für die Politiker. Denn die Politik ist es, die mit den Gefühlen und Hoffnungen der Menschen gespielt und sie danach immer wieder enttäuscht hat“, so Lucian Blaga. Er zeigt mit vielen (Foto-und Video-) Beispielen die verfehlte und korrupte Kommunalpolitik: kostspielige und sinnlose Baumaßnahmen, veraltete Straßenbahnen, die stecken bleiben, ganze Stadtteile, die in der Nacht im Dunkeln sind, Fabriken und historische Gebäude in den Händen von obskuren Schatten-Geschäftsleuten. Blaga: Führungspositionen sind auf Parteiangehörigkeit angewiesen und was der Parteiboss (lokal oder national) sagt, wird im Rat stets gewählt, mit vielleicht einigen Enthaltungen.
Referent:
Dr. Lucian-Attila Blaga, seit 2011 als Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum Geesthacht für Material-und Küstenforschung, pendelt zwischen Hamburg und seiner Heimatstadt Timișoara, wo er an der Technischen Universität als Bauingenieur promovierte und an der Banater Zeitung mit arbeitete. Er ist in keiner Partei, jedoch aktiv in sozialen Netzwerken (Mitglied/Gründer verschiedener Plattformen für politisch-gesellschaftliche Diskussionen).